Technomathematik: Von der Praxis her denken und studieren
18.10.201226 Studienanfänger besuchen im Rahmen der Orientierungseinheit des neuen Bachelor-Studiengangs Technomathematik Stationen der „Mathematik im wirklichen Leben“
Befriedigung durch Mathe
Wozu Mathematik studieren? Zur Beantwortung der Frage tippt Tobias Bauer auf sein Smartphone, scrollt durch tausende Fotos und zeigt auf eine Platine: „Das ist eine Platine für Gabelstapler, die den Wagen vollautomatisch zwischen den Regalen steuert. Der Vater eines Freundes hat sie vor 15 Jahren entwickelt und nun haben wir sie gemeinsam repariert.“ Dass der Studienanfänger mit den Fächern Mathematik und Elektrotechnik im Abitur von einem erfahrenen Elektroniker in die Praxis eingeführt wird und sich nebenbei einen eigenen Verstärker bauen darf, ist ihm eine sichtliche Befriedigung. Und ein Beleg dafür, wie nützlich Mathematik sein kann – für die Berechnung von Widerstand und Leiterbahnen beispielsweise.
Mathe ist überall mit drin
„Mathe ist überall mit drin, es baut das logische Denken auf – so dass man auch alle anderen Zusammenhänge versteht“, ist Tobias überzeugt. Zwei Semester reiner Mathematik hat der 20-Jährige schon hinter sich: „Aber das war mir ein wenig zu theoretisch.“ Als Tobias im Fachschaftsrat von dem Angebot der Angewandten Mathematik erfuhr, entschied er sich für einen Neustart: „Technomathematik“ heißt der neue Bachelor-Studiengang, der zwei Spitzentechnologien, Mathematik und Ingenieurwesen, an zwei Hochschulen, der Technischen Universität Hamburg-Harburg und der Universität Hamburg, verbindet. „Es gab schon einen gleichnamigen Master-Studiengang an der Universität Hamburg, aber wir setzen das jetzt komplett neu auf“, erklärt Professor Wolfgang Mackens.
Exkursion zur Orientierung
Mit welchem Ziel, das will der Studienprogrammkoordinator den Jungstudenten schon in der Orientierungseinheit vermitteln und hat einen Bus gechartert, den er von Harburg bis nach Bramfeld dirigiert. Hier unterhält die Vattenfall Europe AG einen großen Betriebshof und ein Ausbildungszentrum. Elektrotechniker Heinz Schomburg hat Folien für die Studienanfänger vorbereitet, die es in sich haben: die Geschichte der Mathematik von Leonhard Euler über die Fourierreihen bis zur heutigen Anwendung durch Elektrotechniker. Formeln über Formeln – ein Abschreckungsprogramm? Nein, eine Zielvorgabe, betont Mackens.
Aussichtsreich
„Wenn Sie nicht alles verstanden haben, kein Problem, ich auch nicht. Aber spätestens nach dem dritten Semester sind Sie da weiter.“ Die Studienanfänger sehen es gelassen: „Wer sich für Technomathe interessiert, der bringt schon eine gewisse Frustrationstoleranz mit und lässt sich nicht so schnell abschrecken“, sagt Tobias. Kommilitonin Rilana Margs hat sogar ein wenig aus ihrem Husumer Abiturfach Elektrotechnik in dem Vortrag wiedergefunden: „Ich finde das spannend und die Jobmöglichkeiten sind sehr gut.“ Aber auch Studienanfänger ohne elektrotechnische Vorbildung finden anerkennende Worte. Weniger für den Matheteil als für die Einblicke in die Netztechnik, die Schomburg vermittelt hat: „Es muss genauso viel eingespeist werden, wie auf der anderen Seite verbraucht wird, das zeigt doch wie komplex die Stromversorgung ist“, sagt Janek Raabe.
Disziplinübergreifend
Wie das technisch geht, sollen die Studienanfänger bei ihrem zweiten Termin in der Vattenfall Zentrale erfahren. Nur ist die Gruppe zu groß und die Techniker an den Überwachungsbildschirmen sind durch Glasscheiben von den Besuchern getrennt: Ein Mitarbeiter telefoniert, ein anderer schaltet per Mausklick ferngesteuert Transformatoren ein oder aus. „Ich verstehe nicht wirklich, was die da genau machen“, bedauert Tobias mit Blick auf die riesigen Bildschirmreihen in der Schaltzentrale. Immerhin wird deutlich, wie viel Informatik und angewandte Mathematik hinter der modernen Stromversorgung steckt. Das ist ein super Beispiel für den Schulterschluss zwischen Mathematik und Ingenieurwesen, findet Tobias: „Weil es auch viel mit E-Technik zu tun hat.“
Vielfältige Möglichkeiten
Kommilitone Karsten Poddig kann die Begeisterung nicht so ganz teilen: „Das ist fernab von dem, was ich mir vorstelle später als Mathematiker zu machen.“ Dem Schulabgänger aus Mecklenburg-Vorpommern schwebt ein Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit Ingenieuren vor: „Mathematiker lernen es ja, in Lösungen zu denken, das kann für viele Seiten gewinnbringend sein.“ Für die Schiffbauer etwa, wie der angehende Schiffbauingenieur Christian Schnabel vor dem legendären Schuppen 52 mit Blick auf die Elbphilharmonie erläutert: „In drei Wochen Schiffbauplanung legen die Ingenieure 80 Prozent der Kosten fest und müssen sich dann auch daran halten – anders als bei der Elbphilharmonie.“
Mächtiges Werkzeug
Die angehende Bauingenieurin Sabine Pelka greift den Spielball auf: „Die Planer der Elbphilharmonie konnten aber auch nicht bei Null anfangen, sie mussten auf den alten Kaispeicher aufbauen.“ Gemeinsam machen die Masterkandidaten die Bedeutung der Mathematik für ihr Fach deutlich: „Mathematiker sind Werkzeugmacher für uns. Wir benutzen die numerischen Lösungen, die ihr uns gegeben habt“, wendet sich Pelka an den Nachwuchs. Der hat längst begriffen, wie wichtig er einmal für die Fachwelt sein wird und gibt sich selbstbewusst. Erstsemestler Mirko Wülfken: „Alles was von Fachleuten entwickelt wird, ist mathematisch, alles andere ist Willkür.“