Schüler forschen: Ist der Klimawandel zu stoppen?
29.05.2017Wenn über eine Satellitenverbindung der Anruf aus Hamburg kommt, werden Hermann Bange und sein Team auf dem Forschungsschiff „Meteor“ gerade mit dem Frühstück fertig sein. Sieben Stunden beträgt dann der Zeitunterschied zwischen den Wissenschaftlern vor der Küste Perus und mehr als 600 Oberstufenschülern, die an der Universität Hamburg den Klimawandel verstehen lernen. Die Liveschaltung zu der Expedition im Südostpazifik dürfte ein Höhepunkt des Schülerkongresses „Meerklima“ am 8. Juni werden. Die Organisatoren haben allerdings noch weitere Besonderheiten zu bieten: Als Auftaktredner gewannen sie Mojib Latif, Deutschlands bekanntesten Klimaforscher, der über das zentrale Kongressthema sprechen wird: den Einfluss des Klimawandels auf die Ozeane. Die Schirmherrschaft übernimmt Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (SPD). Ihre Behörde spendiert 80.000 Euro für die Konferenz, die zum zweiten Mal stattfindet.
Die Idee: Hamburg ist ein bedeutender Standort für Klimaforschung; in der Stadt sitzen etwa das Exzellenzcluster CliSAP, das Max-Planck-Institut für Meteorologie und das Deutsche Klimarechenzentrum. Kann man diese Expertise nicht in geballter Form Oberstufenschülern zugänglich machen, die ein naturwissenschaftliches Profil gewählt haben und mehr wissen wollen, als in Lehrbüchern steht? Um das zu schaffen, haben 20 Schüler von elf Hamburger Schulen über ein halbes Jahr hinweg etliche Male getagt, viel telefoniert und sich mit Wissenschaftlern getroffen. Die Gruppe bildet den Schülerbeirat der Hamburger Initiative Naturwissenschaft & Technik (NAT). Diese will Kinder und Jugendliche für die MINT-Fächer (Mathe, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) begeistern und den Unterricht dazu praxisbezogener machen, etwa indem Forscher und Fachleute städtischer Firmen von ihrer Arbeit berichten. Ole Burmeister (17) ist Co-Sprecher des Programmteams und war schon beim ersten Schüler-Klimakongress 2016 an der Technischen Universität Hamburg (TUHH) dabei. „Ich kam mir vor wie in einer richtigen Uni-Vorlesung – da kamen die harten Fakten auf den Tisch“, erzählt der Schüler des Lise-Meitner-Gymnasiums in Osdorf. Bei der zweiten Auflage werden neben Mojib Latif 18 weitere Forscher auftreten und beispielsweise erklären, wie man mit Supercomputern Klimamodelle erstellt und mit Satelliten Eis „wiegt“. Apropos Eis: Dirk Notz vom Max-Planck-Institut für Meteorologie wird über die Arktis sprechen, wo die Erderwärmung immer deutlich sichtbar wird: Jedes Jahr kurz vor Ende des Winters erreicht das Meereis der Arktis seine größte Ausbreitung – doch 2017 war die Eisdecke so klein wie nie zuvor im Februar.
„Man kann solche Erkenntnisse gar nicht früh genug in die Gesellschaft tragen“, sagt Notz. „Bisher leidet die Diskussion über Konsequenzen aus dem Klimawandel nämlich darunter, dass viele Menschen nicht wissen, wie sicher bestimmte Erkenntnisse über die Erderwärmung sind.“ Einigkeit herrsche unter vielen Forschern darüber, dass ein erheblicher Teil der Erderwärmung durch den vom Menschen gemachten Ausstoß von Treibhausgasen verursacht werde. „Viel Unsicherheit gibt es hingegen bei den Fragen, wie sich der Klimawandel im Detail entwickeln wird und welche Folgen er regional haben könnte“, sagt Notz. Manche Phänomene sind erst teilweise erforscht. Hermann Bange, Fahrtleiter auf der „Meteor“, ist Biogeochemiker und untersucht im Südostpazifik sogenannte Sauerstoffminimumzonen – tiefe Wasserschichten, in denen so wenig des lebensnotwendigen Gases gelöst ist, dass die meisten Fische dort ersticken würden. Früher waren solche Zonen nicht bedrohlich für die meisten Meerestiere, weil sie sich einfach oberoder unterhalb dieser Wasserschichten tummelten. Allerdings haben sich Sauerstoffminimumzonen zuletzt ausgedehnt – womöglich als Folge der Erderwärmung. Denn wärmeres Wasser kann weniger Sauerstoff aufnehmen als kälteres. Auch die Strömung verändert sich. Weil diese Zonen wachsen, wird vielerorts der Lebensraum für Meerestiere zur Wasseroberfläche hin knapper. Während Erwachsene auf solche Nachrichten häufig mit Resignation oder Zynismus reagierten, gingen Schüler damit erfreulich pragmatisch um, sagt Max-Planck-Forscher Dirk Notz. „Die Jugendlichen wollen wissen, was sie konkret gegen den Klimawandel tun können.“ Was sie später umsetzten, sei zwar unklar. „Aber nach einem Klimakongress mit Forschern haben Schüler zumindest eine bessere Grundlage für ihre Entscheidungen.“
Rechts finden Sie den Originalartikel von Marc Hasse, Hamburger Abendblatt vom 29. Mai 2017.