Schnuppern, zuhören, begreifen: sechs HSU Forschungsbereiche schülernah

18.02.2013

Thomas Klassen hat eigens den Tisch gedeckt in seinem Büro in der Helmut-Schmidt-Universität (HSU). Schnell holt noch Ingenieur Sebastian Krebs ein paar Stühle dazu, schon können die jungen Besucher am runden Tisch Platz nehmen: Es sind fünf Oberstufenschüler aus dem Lise-Meitner-Gymnasium und ihre Physiklehrerin, die nun erstaunt auf Türklinke, Glaskugeln oder Knetklumpen schauen. Letztere hat der Professor seinen Kindern entwunden, um das Prinzip des kalten Spritzens zu veranschaulichen. „Das ist ein Verfahren, bei dem wir weltweit führend sind und auch die Anlagentechnik selbst entwickeln.“ Klassen nimmt Knetklumpen, Glaskugel und eine extrem weiche Masse, die sogenannte Zauberknete, und lässt sie nacheinander auf den Tisch fallen: Während sich die Knete plastisch verformt, die Kugel krachend wegrollt, fliegt die Zauberkugel voll elastisch wie ein Flummi zurück.

Pulverpartikel in den Wind gehängt

Merke: mit Glas lässt sich schlechter beschichten als mit herkömmlicher Knete. Klingt banal und ist doch für die Werkstofftechnik entscheidend: „Um eine gute Schicht zu bilden, benötigen wir die richtigen Materialien, Temperaturen und Geschwindigkeiten, mit der wir das Pulver auf die Oberflächen schießen“, erklärt Klassen sein Forschungsgebiet und zeigt einen kurzen Film. Die Schüler verfolgen, wie sich ein graues Stahlrohr wie von Zauberhand kupfergold verfärbt. „Aus der Düse hier fliegen Pulverpartikel heraus, prallen auf und bleiben durch die Verformung hängen.“ Dadurch entstehen sehr feine Schichten von 150 bis 200 Mikrometern Dicke. Wenn man dickere Schichten benötigt, kann man das Verfahren auch mehrfach anwenden.

Hochleistung für das Automobil

Professor Klassen prüft mit seinen Mitarbeitern am Institut für Werkstofftechnik, wie mit Hilfe der Kaltgasspritze isolierende Keramik-Schichten und Leiterbahnen für die Hochleistungselektronik im Automobil verbunden werden können. Etwa in einem Modul für die elektronische Lenkung, das der Physiker jetzt vom Tisch nimmt und an die Schüler weiterreicht. „Das kommt in modernen Fahrzeugen schon zur Anwendung und weil hier so hohe Ströme durchfließen, wird das Ganze sehr warm und muss gekühlt werden“, so Klassen. Die Forschungen an neuen Leiterbahn-Strukturen seien auch für das emissionsfreie Automobil interessant. Ebenso wie die Spritztechnologie im Krankenhaus zum Einsatz kommen soll. Hier greift Klassen zu einem grau beschichteten Türgriff und zeigt ihn den Schülern. „Der ist antibakteriell beschichtet.“

Schnuppern, zuhören, begreifen
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Der Griff, der Leben rettet!

Das ist das Thema von Henning Gutzmann, der an diesem Freitagvormittag ebenfalls eine Schülergruppe durch die Labore, Werkstätten und Seminarräume der HSU führt: „Allein in Deutschland infizieren sich jährlich über eine halbe Million Patienten in Krankenhäusern, etwa mit multiresistenten Bakterien, gegen die auch die gängigen Antibiotika nichts ausrichten können“, unterstreicht der Diplomphysiker. „Wir wollen diese Infektionen durch den Einsatz von selbstdesinfizierenden Oberflächen senken.“  Eine saubere Sache finden auch die Schüler. Der Haken nur: Die antibakterielle Oberschicht aus Titandioxid sieht grau aus und fühlt sich rauh an – und damit alles andere als sauber. „Die Krankenhäuser hätten es gerne gelb und glatt, daran müssen wir noch arbeiten.“

Hand-in-Hand-Forschung

Noch eine weitere Mitarbeiterin von Thomas Klassen präsentiert sich einer Kleingruppe interessierter Schüler: Iris Herrmann-Geppert arbeitet an neuen Verfahren zur Erzeugung von Wasserstoff durch Solarmodule und zu dessen Speicherung auf der Basis von Metallverbindungen. „Wir entwickeln Oberflächenstrukturen, die reines Wasser möglichst effizient und bei geringen Kosten mittels der Photokatalyse in Wasserstoff und Sauerstoff spalten.“ Was die Schüler neben dem thematischen Bezug zur Energieversorgung der Zukunft fasziniert, ist die Interdisziplinarität, die Herrmann-Geppert selbst verkörpert: Gerade ist die Verfahrenstechnikerin auf die Stelle der Junior-Professorin ans Institut für Werkstofftechnik gewechselt, wo sie zusammen mit Chemikern, Informatikern und Maschinenbauern Hand in Hand arbeitet.

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Nase zu und durch?

Das Institut für Verfahrenstechnik ist aber auch mit einem eigenen Thema an den Schülerexkursionen beteiligt: „Effektiver Abbau von Gerüchen“ lautet es und während einige der ausschließlich männlichen Lise-Meitner-Schüler darüber die Nase rümpfen, lassen sich drei Jungs gerne von José Francisco Fernández in Labore voller Chemikalien entführen: „Es gibt einen enormen Bedarf an Maßnahmen zur Geruchsminderung, um den heutigen Lebensstandard zu erhalten und wenn möglich zu verbessern“, betont der promovierte Ingenieur. Das Problem: Die menschliche Nase reagiert auf einige Stoffe viel empfindlicher als analytische Instrumente. „In jedem Fall verspricht ein geplantes Konzept zur Geruchsreduzierung den größten Erfolg“, so Fernández. 

Ein Lotse für Blinde

Die menschlichen Sinne spielen auch am Institut für Automatisierungstechnik eine Rolle, und zwar sehr nützlich: Wie kann man blinde und sehbehinderte Menschen sicher und einfach am öffentlichen Nahverkehr beteiligen, fragt Diplomingenieur Rando Meister und lässt die Schüler verschiedene Lautsprecher für Bushaltestellen ausprobieren. Die Lösung beruht auf der Technologie der RFID-Funkerkennung (Radio Frequency Identification): Ein kleiner Transponder sendet elektromagnetische Wellen, die an der Bushaltestelle auf ein Lesegerät treffen und einfache akustische Signale auslösen.  „Das ist bedienerfreundlich, preiswert und dynamisch: Steht die Person bereits dicht vor der Haltestelle, erhält sie Informationen über die dort fahrenden Busse“, erklärt Meister.

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Dämpfer für den Audi A8

Quer durch Sibirien fahren die Schüler im Institut für Maschinenelemente und Rechnergestützte Produktentwicklung – jedenfalls virtuell: Als sie den Prüfstand für Luftfedersysteme besuchen, herrscht in der Klimakammer gerade Minus 30 Grad. „Wir fahren aber auch 65 Grad, das ist die Haupttemperatur, die auch in der Nähe des Motors herrscht und bis zu 90 Grad“, erklärt Diplomingenieur Florian Löcken. Fahren heißt in diesem Fall, die Luftfeder 500 Stunden lang im Prüfstand in verschiedene Richtungen zu bewegen – so wie eine echte Luftfeder in einem Audi A8 auch zahlreiche Schlaglöcher und Temperaturunterschiede überstehen muss: „Das entspricht einem Fahrzeugleben.“ Löcken überprüft aber nicht nur unterschiedliche Luftfedersysteme, sondern entwickelt auch Prototypen und macht Verbesserungsvorschläge. 

Wissen macht Ah!

Es sind die konkreten Begegnungen, die an diesem Tag an der HSU zählen: „Freundlich lachende Professoren, ein Hund im Labor oder die riesige Maschinenhalle“, zählt Physiklehrerin Anika Vogel Eindrücke auf, die bei den Schülern hängen bleiben. Aber auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit habe die Schüler beeindruckt, sagt Profilleiter Thomas Krentz: „Bei den Ingenieuren gibt es immer wieder Anknüpfungspunkte, wo verschiedene Perspektiven der Naturwissenschaften gefragt sind.“ Das dürfte auch bei den Plakaten zum Ausdruck kommen, die jetzt im Seminar zu den Exkursionen angefertigt werden: „Ich fand das gut, ich habe ziemlich viel gelernt“, sagt Finn. Der 16-Jährige empfiehlt seinen Mitschülern, sich vor Ort das Kaltspritzverfahren anzusehen: „Das ist einmalig und das kommt auf unser Plakat.