Richtungsweisend: DESY unterzeichnet Kooperationsvertrag mit fünf Schulen
31.10.2012Schulsenator Ties Rabe schaut konzentriert auf die Nebelschwaden in einem Aquarium. Das Filztuch an der Decke haben die Schüler mit Alkohol getränkt, die Metallplatte am Boden durch Trockeneis gekühlt. So entsteht ein Alkoholnebel, in dem kleinste Teilchen detektiert werden können. „Genauer gesagt, sieht man nicht die Teilchen, sondern die Kondensstreifen, die sie hinterlassen“, sagt Jan Philipp und leuchtet mit einer Taschenlampe in die Nebelkammer. Der 15-jährige Grootmoor-Schüler ist Teilnehmer des Kurses Teilchenphysik: „Die lang gestreckten dünnen Fäden, das sind Myonen, die kommen aus dem Weltall.“ Der Schüler würde dem Schulsenator auch gerne noch Heliumkerne, „das sind die dicken hellen Strahlen“ oder Elektronen „die dünnen gebogenen“ zeigen. Ties Rabe beugt sich noch weiter vor: „Ich erkenne schon etwas, aber ich weiß nicht, ob es das ist, was ich sehen soll.“
Anlass Vertragsunterzeichnung
Das ist auch nicht leicht, wenn man derart im Blitzlichtgewitter steht. Wobei die Fotografen keineswegs nur für den Schulsenator gekommen sind. Sie sind vielmehr für die Sache angereist, für die auch Ties Rabe den Weg aus dem Rathaus ins Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY gefunden hat: die Vertragsunterzeichnung zwischen fünf Schulen und dem DESY, dem Netzwerk Teilchenwelt und NAT.
Aufwändige Dinge, wahnsinnig kompliziert
„Es ist symbolträchtig und richtungsweisend für die Metropolregion, wenn ein Großforschungslabor und fünf Schulen zusammenarbeiten“, sagt DESY-Direktor Helmut Dosch und betont, dass die Kooperation noch über das hinausgeht, was das DESY schon seit Jahren mit dem Schülerlabor physik.begreifen anbietet. „Das ist strategischer angelegt und ich bin sicher, es wird ein Erfolgskonzept.“ Sofern die beteiligten Lehrern einen langen Atem beweisen. „Die Dinge sind aufwändig und wahnsinnig kompliziert“, betont der Professor für Festkörperphysik. „Wir brauchen aber auch in der Zukunft die jungen Leute, die sich auf diese schwierigen Fragen vorbereiten.“
Themen jenseits der Schulbuchphysik
Professor Michael Kobel, Leiter des Netzwerks Teilchenwelt, der extra aus Dresden zu der Vertragsunterzeichnung angereist ist, lobt das Engagement und den Mut der Lehrkräfte, sich auf unsicheres Terrain zu begeben: „Sie beschäftigen sich hier mit Themen jenseits der Schulbuchphysik.“ Es sei nicht leicht, als Lehrer zuzugeben, dass man es nicht so genau wisse, aber gemeinsam mit den Schülern Antworten oder genauere Fragen finden wolle. „Aber das ist genau die Haltung, die Forschung ausmacht“, unterstreicht der Teilchenphysiker.
Hemmungslos neugierig sein
„Hemmungslos neugierig sein auf viele spannende Dinge, das kann man am besten im Bereich von Naturwissenschaft und Technik“, betont auch Senator Ties Rabe in seinem Grußwort. Es sei eine höchst menschliche Eigenschaft, neugierig zu sein und nachzufragen. Warum aber gerade Hamburger Schüler im Bereich der naturwissenschaftlichen Fächer so schlecht abschneiden, kann der frühere Gymnasiallehrer auch nicht so ganz erklären und wünscht sich mehr physikinteressierte Eltern, Wissenschaftler, die den Elfenbeinturm verlassen und Schüler, die Mut haben, ihnen Fragen zu stellen.
Sinnstiftender Blick über den Tellerrand
Nötig sind auch Schulleiter, wie die der Gymnasien Süderelbe, Grootmoor, Matthias-Claudius, Sankt-Ansgar und der Stadtteilschule Barmbek, die hinter der Kooperation stehen und das Engagement der Lehrer unterstützen: „Wir verbinden damit die große Hoffnung, dass lebendiger Physikunterricht in Schule stattfindet“, sagt Rotraud Nesemeyer, Schulleiterin vom Matthias-Claudius-Gymnasium MCG. Das Prinzip „Raus aus der Schule“ und der Blick über den Tellerrand seien sinnstiftend. „Schüler, die von so einem Termin wie hier mit dem DESY begeistert zurückkommen, nehmen den Unterricht und Schule ganz anders wahr.“ Viele erzählten begeistert, bedankten sich extra und seien sehr wohl in der Lage, selbst die schwere Teilchenphysik altersgemäß zu erklären: „Für mich ist wichtig, dass wir die Grundlage legen, auf der die Schüler aufbauen können.“
So etwas wie das Sahnehäubchen
Am MCG können sich die Schüler in der Mittelstufe zwischen einer sprachlichen Ausrichtung und den Naturwissenschaften entscheiden: „Fast die Hälfte der Schüler sind naturwissenschaftlich aktiv“, so Nesemeyer. Das Wahlfach Naturwissenschaft statt dritter Fremdsprache ab Klasse Acht bietet auch die Sankt-Ansgar-Schule. Dazu kommen außerschulische Angebote, wie Wettbewerbe, die Nano-AG oder eben der Schülerkurs Teilchenphysik: „Der Kooperationsvertrag mit dem DESY eröffnet den Schülern und Schülerinnen ganz hervorragende Möglichkeiten, das ist so etwas wie das Sahnehäubchen“, sagt Schulleiter Friedrich Stolze.
Jedes Mal ein wenig mehr verstehen
Eine seiner engagierten Schülerinnen ist Friederike aus dem ersten Semester. Vor einem Jahr hat sie den Schülerkurs Teilchenphysik belegt und auch schon Veranstaltungen im DESY-Schülerlabor besucht. Jetzt will sie sich als Tutorin bewerben, um im nächsten Frühjahr ans CERN zu fahren. Den Vortrag über die Teilchenphysik hat sie heute zum dritten Mal gehört: „Und jedes Mal verstehe ich ein wenig mehr.“ Es ist ein Prozess aus Fragen, erstem Verstehen und Weiterfragen, der nicht aufhört. So wie die Grundlagenforschung am DESY.