Modul Aerodynamik an der HAW Hamburg

09.12.2010

Gleiten - so weit, so schnell, so lange wie möglich: Schüler planen und bauen Wurfgleiter

Strahlend blau und grenzenlos weit ist der Himmel über Hamburg. Er lässt den Blick frei auf ein ufoähnliches Fluggerät mit breiten Tragflächen, die mit dem Rumpf verschmelzen. „75 Jahre Flugzeugbaustudium in Hamburg“ steht darunter und der abgebildete Nurflügler AC 20.30 symbolisiert, dass es noch mindestens zwanzig Jahre weitergehen wird. Das Plakat ist ein ständiger Begleiter im Department für Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau der Hochschule für Angewandte Wissenschaften HAW Hamburg. Auch an der Tür zum Aerodynamiklabor prangt es. Vom Nurflügler weit entfernt ist allerdings das Modell, das drinnen müde im Windkanal auf die nächste Brise wartet: eine kleine Propellermaschine aus dem Flugmodellbau. Daneben liegt auf einem Tisch ein Segelflugzeug aus Hartschaum.

Eigene Entwicklung

Handelt es sich hierbei um das Modell, das auch die Oberstufenschüler der Gymnasien Ohmoor demnächst bauen werden? Die Frage ist schon an sich falsch gestellt: Die Schüler sollen keine Modelle nachbauen, die ihnen die Hochschule, der Lehrer oder der Flugmodellbau vorgeben. Sie sollen sich ihre ganz eigenen Gedanken machen über Aerodynamik, Flugmechanik und Flugzeugentwurf. Dazu lernen sie in einer für sie konzipierten Vorlesung und im Schulunterricht die Grundlagen kennen, dann entwerfen sie eigene Theorien für ihren Wurfgleiter.

Initiative NAT, Thomas Rokos
Initiative NAT, Thomas Rokos
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Die Art des Herangehens

„Wurfgleiter haben wir, glaube ich, als Kinder alle gebaut, nämlich Papierflieger“, sagt Detlef Schulze. Aber als Kind hat der Professor für Aerodynamik einfach nur ausprobiert und sich gefreut, wenn sein Werk gut flog. Als Ingenieur sei die Herangehensweise eine andere: „Das Ziel ist es vorzugeben, wie gut soll das Flugzeug fliegen und es dann so zu bauen, dass es auch tatsächlich so fliegt.“

An jedes Detail denken

Für dieses planvolle Vorgehen benötigen die Schüler eine Menge Mathematik und Physik: sie müssen geeignete Werte für ihr eigenes Modell herausfinden, beispielsweise durch Tests im Windkanal, Leitwerk- und Tragflächengrößen berechnen, Gewicht, Formen und Abstände bestimmen. Erst im letzten Schritt bauen die Schüler ihren Entwurf in der Praxis nach: „Das hat auch einen handwerklichen Aspekt“, sagt der Diplomingenieur. Dünne Hartschaumplatten, Teppichmesser und Klebe sind dann die Hilfsmittel der Schülerteams – sowie die professionelle Unterstützung durch zwei Tutoren.

Schwankender Frauenanteil

Darunter eine Tutorin: Lena Duken studiert Flugzeugbau im vierten Semester. In ihrem Schwerpunkt „Entwurf und Leichtbau“ ist die 22-Jährige die einzige Frau: „Das ist nicht schlimm“, beruhigt sie. Schließlich gebe es bei den Fahrzeugbauern und auch im Schwerpunkt „Kabinen und Kabinensysteme“ sehr wohl Frauen. „Das schwankt“, ergänzt Professor Schulze, im Schnitt liege der Frauenanteil an der HAW Hamburg bei zehn Prozent. Bei Lena Duken ist die Liebe zum Flugzeug der Antrieb: „Ich fand Flugzeuge schon immer gut, Physik und Mathe weniger“, gibt sie zu. Aber die Motivation entstehe, wenn man sieht, wofür diese Fächer gebraucht werden. Das Berufsziel Pilotin reichte der ehrgeizigen jungen Frau nicht. „Ich will zuerst ein abgeschlossenes Studium haben.“

Initiative NAT, Thomas Rokos
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Mit großen Schritten in die Zukunft

Der zweite Tutor ist Volker Schüller, Flugzeugbauer im siebten Semester: „Das Studium besteht in erster Linie aus Theorie, aber ich brauche auch ab und zu den Schraubschlüssel in der Hand“, erklärt der gelernte Elektroniker. Seit seinem ersten Semester engagiert sich Schüller daher in der Projektgruppe „Blended Wing Body“ rund um den Nurflügler 20.30. „Eine freiwillige Zusatzleistung“, wie der 34-Jährige auf dem Weg in die Kellerwerkstatt betont. Dort hinter einer eisernen Tür und unter einer schützenden Wolldecke steht die flugfähige Konstruktion von morgen – wenn auch noch im Maßstab 1:30. Dennoch ist das Modell mit einer Spannweite von 3,20 Metern schon beachtlich und viel zu groß für den Windkanal der HAW. Um es zu testen musste das Nurflügler-Team ganz bis nach Dresden reisen.

Gleiche Technik, anderes Modell

Seit zehn Jahren arbeitet die Gruppe an ständig weiterentwickelten fliegenden Modellen. So viel Zeit werden die Oberstufenschüler nicht haben. Ein halbes Jahr steht ihnen für Theorie und Praxis zur Verfügung: Ihre Modelle haben daher auch keinen Antrieb, sie sind nicht steuerbar und müssen nur geradeaus fliegen. „Aber es sind echte Flugzeuge und keine Spielzeuge“, betont Detlef Schulze. Schließlich gilt: Egal ob großes Verkehrsflugzeug oder Wurfgleiter, die Flugphysik ist immer die gleiche. Haben die Schüler das Wesentliche einmal begriffen, kommen sie, so die Hoffnung des Professors, in der Umsetzung doch zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen: „Wenn es gut läuft, entwickelt jede Schülergruppe ein für sich individuelles Modell.“

Länger, schneller, weiter

Nur mit unterschiedlichen Konzepten macht die Abschlussphase des Moduls „Aerodynamik“ an der HAW erst richtig Sinn – der Wettbewerb um das beste Modell. Ausgetragen wird er im Profilverband nach drei Aspekten. Zum einen geht es um die Umsetzung, wie gut sieht das Flugzeug aus. „Dabei spielt auch Ästhetik eine Rolle, auch wenn das eine weiche Größe ist“, erklärt der Abteilungsleiter für Flugzeugbau. Messbar ist dagegen die Flugfähigkeit: Die Schüler lassen ihre Wurfgleiter in der Turnhalle starten und das Modell, das am weitesten, am schnellsten oder am längsten fliegt gewinnt. „Über die Kriterien muss sich die Jury noch einig werden“, so Schulze.

Aus Fehlern lernen

Schließlich präsentieren die Schüler ihr Vorgehen noch in einem zehnminütigen Vortrag an der HAW: Die Schüler erläutern ihre Überlegungen, die zu ihrem Modell geführt haben. Anschließend gibt es im Idealfall einen Gewinner – und einen Verlierer. Beide schicken ihr Modell noch einmal in den Windkanal. „Man soll ja auch aus Fehlern lernen.“ Der Windkanal, weiß der Leiter des Aerodynamiklabors, ist immer ein Renner. „Da wollen sich alle noch einmal hineinstellen, egal, ob Grundschüler oder Abiturient.“

Ansteckende Begeisterung

Detlef Schulze selbst ist in der Nähe des mittlerweile historischen Berliner Flughafens Tempelhof aufgewachsen und war schon als Kind begeisterter Vielflieger: „Auch wenn mir in den Propellermaschinen immer regelmäßig schlecht geworden ist.“ Volker Schüller hat schon mit vier Jahren seinen Vater in die Luft begleitet, nachdem der gerade seinen Pilotenschein gemacht hatte und Lena Duken hat mit 14 das Segelfliegen angefangen: Sie alle hat der Virus „Faszination Fliegen“ längst erfasst. Jetzt wollen sie ihn an die Profilschüler weitergeben.