Mit der Brille der Physik: Schüler planen Metropolen von morgen

04.06.2013

Ganz Buenos Aires liegt Moritz zu Füßen. In der Mitte der Hafen mit dem Industriezentrum, darum ein Ring aus Elendsvierteln, daneben aufstrebende Villenviertel. „Das symbolisiert das Pool auf dem Dach.“ Moritz‘ Mitschüler lachen. Die Modellbauten aus Schaumstoff-Chips sind ein wenig windschief geraten. Aber sie unterscheiden sich in ihrer Größe und ihrem Glanz doch deutlich von den Slums aus Weinkorken, die Moritz und sein Team auf ein Plakat im A0-Format geklebt haben. Es zeigt die Umrisse der argentinischen Hauptstadt im Großmaßstab und ist ein Planungsinstrument der HafenCity Universität Hamburg (HCU).

Das große Ganze

Es handelt sich dabei um eine neue Strömung moderner universitärer Stadtplanung, wie Merle Pannecke, Mitarbeiterin der HCU versichert. „Früher haben wir nur punktuell geplant, in einzelnen Quartieren und Straßenblöcken den Raum akupunktiert. Jetzt schauen wir wieder mehr auf das große Ganze.“ Das große Ganze spielt sich an diesem Tag für die 25-Jährige und ihre französische Kollegin Claire Duvernet im Physikprofil des Gymnasiums Grootmoor ab. Im ersten Schritt präsentieren die Stadtplanerinnen ihre Arbeit und das HCU-Seminar „Metropolitan-Lab“: ein Experimentierfeld, auf dem die Studierenden in einem Semester eine eigene großmaßstäbliche Planung entwerfen.

XXL und superschnell

Für die Elftklässler findet das Verfahren im Schnelldurchgang statt: Fünf Planvorlagen haben die Wissenschaftlerinnen mitgebracht, neben Buenos Aires sind Lissabon, London, München und Vancouver dabei. Macht fünf Arbeitsgruppen, die recherchieren, analysieren und entwerfen – alles an einem Vormittag. Logisch, dass man da nicht so in die Tiefe gehen kann. „Es ist für die Schüler eine Chance, einmal anders zu arbeiten als üblich, nämlich gemeinsam mit Wissenschaftlern der HCU“, erklärt Burkhard Jöhnk. Zur Vorbereitung hat der Geografielehrer die Schüler angehalten, Materialien für die Präsentation ihrer Zukunftsmetropole mitzubringen. Lucas hat die Schaumstofffüllung aus seiner letzten Paketsendung dabei, Alex einige Legobausteine. Daraus hat die Buenos Aires-Gruppe einen Offshore-Windpark gebaut und vor den Exporthafen gesetzt.

Metrolab Gymnasium Grootmoor
Metrolab Gymnasium Grootmoor
Metrolab Gymnasium Grootmoor
Metrolab Gymnasium Grootmoor

Ganz großes Kino

Der Standort ist nicht optimal, gibt Claire Duvernet mit Blick auf den Schiffsverkehr zu bedenken, aber es geht den Schülern auch um das Prinzip: „Wir wollen symbolisieren, dass in Buenos Aires die Luftverschmutzung durch erneuerbare Energien verbessert werden kann“, sagt Lucas, als Alex das Legowindrad, ein umgebauter Legohubschrauber, in Gang setzt. „Ganz großes Kino“, lobt Merle Pannecke: Die Gruppe habe auch die soziale Frage und Finanzierungsaspekte mit in die Planung einbezogen. 

Durchatmen im Herzen von London

Von den Stadtplanerinnen lernen die Schüler, dass Gentrifizierung, so sauber und schick das Schlagwort auch klingen mag, keine Lösung der Kriminalität oder Armut darstellt: „Menschen werden verdrängt und das ist nicht positiv“, so Pannecke. Wissenschaftliche Stadtplanung heißt eben auch gängige Lösungen zu hinterfragen und quer zu denken. Das hat die London-Gruppe getan, indem sie acht (!) Flughäfen nach außen verlegt und durch einen Ring aus Bahnlinien mit der City verbindet, diese komplett autofrei macht und nur mit einer Zone der Elektromobilität umgibt.

Metrolab Gymnasium Grootmoor
Metrolab Gymnasium Grootmoor
Metrolab Gymnasium Grootmoor
Metrolab Gymnasium Grootmoor

Radler und Rikschas in München

Umweltfreundlich, nahverkehrserprobt, im Kern verkehrsberuhigt – so stellen sich die Physikprofilschüler die Metropolen der Zukunft vor. Das sind zum einen die Rad- und Rikschafahrer, die zukünftig die Münchner Parkstreifen befahren sollen, zum andern mehr Bahnlinien und ein Tunnel unter dem Tejo in Lissabon. In Vancouver sollen kostengünstige Parkhäuser in den Vororten sowie ein ausgebautes Bahn- und Busnetz die Innenstadt entlasten: „Die Vororte wachsen in Vancouver enorm und alles strömt in die Stadt“, weiß Robert. Der 18-Jährige hat schon ein Auslandsjahr an der Westküste Kanadas hinter sich – Wissen, das sich bei der Stadtplanung auszahlt.

Eine andere Denke

„Toll, dass ihr die Berge nicht noch weiter bebaut habt, sondern die Natur in Ruhe gelassen hat“, lobt Pannecke die Gruppe. Spannend findet die Stadtplanerin den Energieschwerpunkt und die Denke der Physikprofilschüler: „Wir haben das schon mal mit einem Geoprofil durchgeführt, die waren weit kreativer, aber auch weniger analytisch und nicht so konkret.“ Ihre Idee: Interdisziplinär arbeiten und Natur- und Geisteswissenschaftler an einen Tisch bringen. Das könnte nicht nur fachliche Scheuklappen beseitigen, sondern auch gegenseitige Vorurteile. Zumindest würde es der nachhaltigen Stadt der Zukunft ein wenig Beine machen.

Beitrag teilen