Knüppeldick und praxisnah: Inspiration für den naturwissenschaftlichen Unterricht aus dem Stahlwerk

28.03.2013

Sie leuchten wie die Sonne und sind mindestens ebenso schön warm: frisch gegossene Stahlquader, die in der Fachsprache der Industrieproduktion Knüppel heißen. „Wie angenehm“, sagt Claudia Lehmann, als so ein schlanker, 15 Meter langer Quader unter ihren Füßen vorbei gleitet. Es ist, als hätte jemand die Fußbodenheizung kurz auf voll gedreht: Eine intensive Wärme wird von dem Lichtgitterrost der Anlage bis in die Gliedmaßen der dreizehn Mathematik-, Chemie- und Physiklehrer übertragen, die an diesem Vormittag zu Gast bei dem Hamburger Stahlkonzern ArcelorMittal sind. „Dies ist der Lieblingsplatz der Mitarbeiter im Winter“, sagt Ingenieur Steffen Lohmann, der die Gruppe führt.

Bundeskongress der MINT-Lehrer

Claudia Lehmann nickt zustimmend. Aus dem baden-württembergischen Frühling ist sie mit ihrer Familie ins schneebedeckte Hamburg gereist, um am Bundeskongress des Vereins zur Förderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts, kurz MNU, teilzunehmen. Die Chemie- und Mathematiklehrerin ist damit eine von rund 1.200 Teilnehmern: „Ich bin jedes Jahr bei der MNU-Tagung, weil ich hier die besten Anregungen für den Unterricht bekomme.“ Auf dem Kongress stellen Verlage neue Lernmittel vor, bieten Fachdidaktiker Workshops an und Fachkräfte Vorträge. Zu den Vortragsrednern gehörte in diesem Jahr auch Sabine Fernau, Geschäftsführerin der Initiative NAT: „MINT-Fächer in der Praxis“, lautete ihr Thema. „Wir wollten den Lehrern zeigen, wie der Anwendungsbezug aus Industrie und Forschung im Unterricht punkten kann.“ Aus Sicht der NAT war es da nur konsequent, dass sie auch für die passenden Exkursionen für den MNU-Kongress sorgte: 17 Führungen in zwölf NAT-Betrieben standen auf dem Programm und wurden von rund 350 MNU-Lehrern besucht. Was sogar Hamburger Lehrer begeisterte: „Das ist was anderes als der Unterricht aus dem Lehrbuch und mit dem Bunsenbrenner“, sagt Thomas Meyer-Krügel.

Knüppeldick und praxisnah
Knüppeldick und praxisnah
Knüppeldick und praxisnah
Knüppeldick und praxisnah

Bunsenbrenner im Megaformat

Der Bio- und Chemielehrer von der Gymnasialen Oberstufe Emil-Krause der Stadtteilschule Barmbek will seine Eindrücke aus der ArcelorMittal-Exkursion auf jeden Fall in den Unterricht einfließen lassen: „In Chemie sprechen wir über die Stahlherstellung, allerdings im Hochofenprozess.“ Jetzt hat Meyer-Krügel auch eine konkrete Vorstellung von dem Produktionsprozess in der Reduktionsanlage - der einzigen in Westeuropa - und im Elektrolichtbogenofen, wie ihn ArcelorMittal verwendet. Der Chemielehrer sieht es als seine Aufgabe an, für technische Berufe zu begeistern und der Stahlkonzern gehöre auf jeden Fall auf die Liste der interessanten Betriebe. „Die Schwerindustrie ist beeindruckend, diese Hitze und die Kraft, die dahinter steckt.“

Kerzengerade statt bananenkrumm

Das spüren auch die anderen Lehrer auf ihrer Exkursion durch das Stahlwerk. Auf ihrer Zunge klebt ein metallischer Geschmack, Staub an den Fingern, im Ohr ein Gehörschutz, durch den immer noch reichlich Lärm dringt. Und doch will niemand den Blick wenden von den meterhohen Flammen im Lichtbogenofen oder den feuerroten Stahlquadern, die auf dem Wendekühlbett gedreht werden: „Würde man sie nicht wenden, würden sie ungleichmäßig abkühlen und krumm wie eine Banane werden“, erklärt Steffen Lohmann.

Knüppeldick und praxisnah
Knüppeldick und praxisnah
Knüppeldick und praxisnah
Knüppeldick und praxisnah

Lieblingsplatz mit Lichtblick

Der Prozessingenieur hat auch einen Lieblingsplatz im Werk. Es ist der Pfannenofen, wo der Stahl in riesigen Bottichen gekocht und durch verschiedene Legierungen verfeinert wird. „Hier geben wir dem Stahl den letzten Feinschliff.“ Da sei spannend und fordernd zugleich: „Wenn wir es da versemmeln, dann war es das mit der Qualität.“ Was natürlich nicht passieren darf: ArcelorMittal produziert bis zu einer Million Tonnen Walzdraht im Jahr. Alles auf Bestellung und nichts auf Halde. Die Stahldrähte landen in Seilbrücken, Autoreifen oder sogar Violinen. „Es ist gut zu wissen, wo die Dinge herkommen, mit denen wir uns täglich umgeben und wie sie sich zusammensetzen“, findet Claudia Lehmann. Sie zieht den Kragen hoch und Mütze auf. Gerne wäre sie noch geblieben an ihrem Lieblingsplatz, auf dem wärmenden Lichtgitterrost im Stahlwerk.

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