Karrierebeschleuniger Teilchenphysik - Schulübergreifender Kurs auf zweiter Etappe: 22 Schüler aus fünf Schulen besuchen DESY
01.04.2012Es sind die kleinen Begegnungen, die prägen. Ringförmig geformte Pommes in der DESY-Kantine beispielsweise, die Grootmoorschüler Bengt als „Beschleuniger-Frittes“ bezeichnet. Alarmknöpfe am Eingang zum Hera-Tunnel, die ausprobiert werden dürfen, und mit denen Houman vom Matthias-Claudius-Gymnasium sogleich eine Pieptonfolge kombiniert. Oder die russischen Wandschmierereien, die Ivan entdeckt: „Ich will hier raus. Aber ich kriege keinen Urlaub“, übersetzt der gebürtige Russe vom Emil-Krause-Gymnasium.
Besichtigung unter der Erde
Selbstverständlich ist der russische Teilchenphysiker längst wieder aus dem Hera-Tunnel herausgekommen. Bereits seit Sommer 2007 steht die Hadron-Elektron-Ring-Anlage, kurz Hera still. Dafür dürfen jetzt Schüler aus fünf unterschiedlichen Gymnasien eine mächtige Halle, 25 Meter unter der Erdoberfläche, und einige Tunnelmeter durchschreiten. Tonnenweise Schätze, Kabel und Rohre, Magnete und Sensoren liegen hier auf 6,3 Kilometer Länge herum. Die Kupferrohre könnte man doch wieder zu Geld machen, schlagen die Schüler vor. „Der Ausbau und das Trennen von Kupfer wäre teuer als der Preis, den man dafür erzielen würde“, erklärt Physikstudent Moritz Habermehl, der die Schüler durch die Anlage führt.
Crashtest für Nukleonen
Hera werde auf jeden Fall nicht wieder in Betrieb genommen: „Und die Teile sind eben alle für Hera gebaut.“ Deutschlands größtes Forschungsinstrument sei eben auch ein enormer Energiefresser gewesen und zudem inzwischen vom Teilchenbeschleuniger LHC im Cern abgelöst worden, erklärt der angehende Master der Astrophysik. „Nach etwa 15 Betriebsjahren waren die Experimente auch so ziemlich ausgereizt.“ Obwohl es schon eine besondere Herausforderung darstellte, Elektronen und die viel schwereren Protonen auf unterschiedlichen Bahnen zu beschleunigen und kollidieren zu lassen. „Wie konnte man sicher sein, Elektronen und Protonen frontal aufeinander zu schießen“, möchte Houman wissen.
Interesse von jung und alt
Habermehl wundert sich über vielen Fragen und das Interesse der Schüler. Fragen kommen auf den PR-Führungen über das DESY-Gelände in der Regel von älteren Teilnehmern, die Informationen zu Kosten und Nutzen einforderten. Aber die physikinteressierten Rentner bilden an diesem Tag zusammen mit den Lehrern eine eigene Gruppe. Die Schüler bleiben unter sich – ganz ohne Aufsicht. Das funktioniert sogar noch an der letzten Station, nachdem schon einige gefühlte Streckenkilometer über oder unter der Erde bewältigt wurden. Angefangen von der Experimentierhalle im Speicherring Petra III über das Modell im Linearbeschleuniger Flash bis zum Hera-Detektor.
Kollisionen für die Wissenschaft
Habermehl erklärt, dass der Detektor ähnlich wie ein Geiger-Müller-Zählrohr funktioniert, nur dass nicht ein einziger Draht, sondern 30.000 eingesetzt wurden, die alle Signale von innen nach außen liefern. „Wenn zwei Drähte gleichzeitig ausgelöst werden, weiß man, da wo sie sich schneiden, muss das Teilchen durchgeflogen sein.“ Das beantwortet auch die Frage von Houman: Die Teilchenphysiker gehen vom Ergebnis aus, und da sie unvorstellbar viele Ereignisse erzeugen, können sie auch sicher sein, dass die ausgeklügelte Strahlungsführung tatsächlich zu Milliarden von Kollisionen geführt hat.
Das Ziel bestimmt den Weg
Vom Ergebnis her denken und agieren, das hat auch Moritz von der Sankt-Ansgar-Schule getan. Nach der ersten Masterclass in seiner Schule hat er in den Frühjahrsferien eine weitere Veranstaltung aus der Teilchenwelt absolviert – und damit die entscheidenden Voraussetzungen für eine internationale Masterclass am Cern erfüllt: „Das Thema ist interessant und es erhöht die Chancen im Studium“, erklärt der Zehntklässler seine Motivation für die Genf-Exkursion.
Gigantische Dimensionen
Dabei denkt Moritz keinesfalls an eine Karriere in der Teilchenphysik. Er will später auf einen Managementposten, aber einen mit technischem Hintergrund und daher beispielsweise Wirtschaftsingenieurwesen studieren. „Physik ist mir zu trocken.“ Aber es sei gut, sein Wissen und Engagement in freiwillig belegten Veranstaltungen unter Beweis zu stellen: „Selbst wenn man in der Masterclass nicht alles versteht, ist das dennoch auf so einem erhöhten Niveau, dass man in der Schule locker mithalten kann.“ Den Besuch am DESY findet Moritz gut: „Mich beeindrucken die Dimensionen, die das hier alles angenommen hat.“ Aber man müsste mehr Pausen zwischen den Vorträgen machen: „Nach einer halben Stunde schaltet man automatisch ab.“
Sichtbare Strahlen
Abschalten und sich hinsetzen können die Schüler schließlich in der DESY-Kantine. Dort treffen sie auch wieder auf ihre Lehrer, die sie mit einem eher meditativen Ausklang auf die Folgeveranstaltung einstimmen: ein Besuch in einem abgedunkelten Container, in dem grünleuchtend kurze, dicke α- Strahlen und dünne β-Strahlen sichtbar gemacht werden. Es ist eine Nebelkammer, die schulübergreifende Teams in „Masterclass III“ vereinfacht nachbauen sollen. „Das findet noch vor den Sommerferien statt“, verspricht Ulrike Vogt, Physiklehrerin vom Gymnasium Süderelbe. Und damit schon bald…