Hand anlegen im Seminar: Physikpraktikum am Luisen-Gymnasium

17.10.2013

Es läuft wie geschmiert: Die Anleitung aufschlagen, die dazu gehörige Materialkiste aus dem Schrank holen und das Experiment aufbauen. Aber dann kommt der Punkt, wo die Sache stockt. Alexander und Elias haben ein hohes Glasgefäß mit Wasser gefüllt, ein mit Bleikugeln gefülltes Reagenzglas hineinfallen lassen und die Schwingungen beobachtet. Jetzt brüten die Elftklässler über der Aufgabenstellung und schon schwingt gar nichts mehr: Sie sollen unter anderem ableiten, dass es sich um eine harmonische Schwingung handelt und die Masse des Reagenzglases anhand der Schwingungsdauer bestimmen. Der Anfang der Praktikumsstunde sei ein Angang, gibt Elias zu: „Bisher haben wir es immer geschafft und dann hat es auch Spaß gemacht. Aber bei jedem Versuch muss man sich neu eindenken.“ 

Praktisch, physikalisch und protokolliert

Das Seminarfach in der Profiloberstufe soll Kompetenzen vertiefen, Fächer verbinden und in das selbstständige wissenschaftliche Arbeiten einführen. Das Luisen-Gymnasium nutzt es im ersten Semester für ein Physikpraktikum: „Ich habe die universitären Praktika in sehr guter Erinnerung“, sagt Nils Krause. Der promovierte Physiker war vor seinem Referendariat wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Kiel. Das arbeitsteilige Stationslernen hat er mit in die Profiloberstufe gebracht: „Im Profilkurs haben wir im Vergleich zu einem Leistungskurs nur vier statt fünf Wochenstunden. Daher haben wir uns entschieden, ein Teil der Vorführversuche ins Seminarfach zu legen.“

Physikpraktikum am Luisen-Gymnasium
Physikpraktikum am Luisen-Gymnasium
Physikpraktikum am Luisen-Gymnasium
Physikpraktikum am Luisen-Gymnasium

Vorbereitung auf das Studium

Mit dem Unterschied, dass die Versuche nicht mehr zentral vorgeführt, sondern von den Schülern in Kleingruppen und Rotation eigenverantwortlich durchgeführt und ausgewertet werden. Im Anschluss gehen die Physikschüler in den Computerraum, protokollieren ihren Versuch und reichen das Ergebnis beim Lehrer ein: „Sobald wir das Testat erteilen, dürfen die Schüler den nächsten Versuch starten“, erklärt Physiklehrer Daniel Roeschke. Testate vergeben üblicherweise naturwissenschaftliche Fakultäten, wenn die Studierenden Übungen oder Versuche nach Plan durchführen und vollständig protokollieren. Am Luisen-Gymnasium gibt es sie für gut zehn naturwissenschaftliche Experimente in einem Semester. 

Beugung am Doppelspalt

Vor den Herbstferien haben alle Elftklässler gut gearbeitet: Alle starten in ein für sie jeweils neues Experiment. „Beugung am Doppelspalt“ steht für Josina und Armin auf dem Plan. „Wir haben hier einen Empfänger und einen Sender, der Mikrowellen erzeugt“, erklärt Armin den Versuchsaufbau. Die 16-Jährigen sollen die unsichtbaren Wellen durch einen Doppelspalt in einer Aluminiumabschirmung schicken und das dabei entstehende Interferenzmuster vermessen. Dazu verbinden sie den Empfänger mit einem Spannungsmessgerät. Das Problem nur: Das Millivoltmeter tickt nicht ganz sauber und springt ohne Zutun von einer Zahl zur nächsten.    

Physikpraktikum Luisen-Gymnasium
Physikpraktikum Luisen-Gymnasium
Physikpraktikum Luisen-Gymnasium
Physikpraktikum Luisen-Gymnasium

Schüler helfen Schülern

Üblicherweise rufen Schüler in solchen Fällen nach dem Lehrer. Aber der ist beschäftigt und sowieso nicht von Nöten. Schließlich gibt es genug andere Experten im Raum: Mitschüler wie Julian, der den Doppelspaltversuch schon erfolgreich abgeschlossen hat. „Weißt du, ob das Messgerät richtig angeschlossen ist?“, fragt Armin den Mitschüler. Julian prüft die Verbindungen: „Ihr müsst den COM-Anschluss und den normalen Volt-Anschluss nutzen und dann die Einheit auf Volt stellen“, lautet sein Urteil. „Ja, jetzt geht es“, freut sich Josina und greift zum Zollstock. Sie will vermessen, auf welcher Position das stärkste Signal zu empfangen ist und wie sich der Wert verändert, wenn sie den Empfänger zentimeterweise verschiebt.

Besser messen

Doch die Werte nehmen immer weiter ab, das erwartete Interferenzmuster bleibt aus. Sackgassenfeeling macht sich breit, bis der Lehrer vorbei kommt: „Schaut mal von oben. Sender und Empfänger stehen nicht im selben Winkel“, sagt Daniel Roeschke und holt ein großes, weißes Blatt Papier, auf dem sich die Schüler mit dem Geodreieck Hilfslinien einzeichnen können. Gelegentlich ist so ein praktischer Beistand unabkömmlich, weiß Roeschke. Schließlich sei das Physikpraktikum durchaus komplex: „Die Schüler müssen den Versuch verstehen, die Geräte bedienen können und sich dann noch Tricks und Kniffe erarbeiten, wie es genauer geht.“

Schwung im Reagenzglas

Dass dabei auch Themen zur Anwendung kommen, die noch gar nicht im Physikprofil behandelt wurden, kommt erschwerend hinzu. Doch die Schüler tragen es mit Fassung, Disziplin und Engagement: „Das ist super“, sagt Jonas. „Wir lernen selbstständig Themen zu bearbeiten und tauschen uns gegenseitig aus.“ Der Elftklässler hatte zuletzt die Wellenlänge von Licht bestimmt, heute ist mit der Kinematik ein ganz anderer Bereich der Physik dran. „Wir arbeiten ein wenig wie die Physiker früher, bevor sie unsere Formeln und Gesetze hatten“, findet Laura. Das weckt den Forschergeist und das Verständnis für die Zusammenhänge, lobt die 17-Jährige. Ihr bisheriger Lieblingsversuch ist das schwingende Reagenzglas, bei dem sie Alexander und Elias nun ein wenig unter die Arme greifen kann.

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