Gewölbte Welt: Hamburgs neues Virtual-Reality-Headquarter öffnet sich

16.11.2018

Es riecht nach Kaffee. Ganz so wie es der Speicherstadt-Slogan „Wiege des deutschen Kaffeehandels“ verspricht. Allerdings kommt der Duft aus dem Becher, den Pascal gerade zwischen großen Bildschirmen und starken Rechnern hindurch balanciert. Ein Energieschub für den Tag: Nine-to-five-Jobs sucht man im historischen Speicher M28 am Sandtorkai genauso vergeblich wie Lager für Kaffee, Kakao oder Tabak. Stattdessen gibt es rote Kinosessel, große Bildschirme und dicke Brillen: Aus M28 ist ein Zentrum für Virtual-Reality-Technologie geworden. Es nennt sich kurz VRHQ – HQ steht für Headquarter und Pascal für dessen Koordination. Der Start-up-Berater trägt den Familiennamen Kuemper, aber Nachnamen sind in der VR-Szene so unüblich wie Ausschlafen, Festnetz oder starre Hierarchien. Und das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit, die vier Start-ups unter dem VRHQ-Dach eint: Sie alle wollen sich für den Nachwuchs engagieren – trotz voller Terminkalender und verdichteter Arbeitstage! Zugunsten einer Branche, die Zukunft verspricht!

Ideas to shape the world

Pascal ist beispielsweise überzeugt, dass viele junge Menschen etwas bewegen und gestalten wollen, ganz so wie er selbst: „Ich wollte in eine Industrie rein, die sich noch entwickelt und die man noch shapen kann“, sagt der gebürtige Amerikaner mit deutschen Wurzeln, für den „shapen“ Gestaltung und Formgebung zugleich ist. Mitgestalten konnte er das Start-up Noys VR, das er zunächst beim Business Plan unterstützte und dann als Geschäftsführer formte. Entstanden ist es aus einer standortübergreifenden Bachelorarbeit: „Wie kann man ein neues Musikerlebnis über VR realisieren?“, so Bachelor Fabio Buccheri, der den Theorieteil schrieb. Wobei es von Anfang an nicht um Live-Konzerte gehen sollte, betont der Gründer: „Wir sind alle praktizierende Musiker, wir wissen, dass Live-Musik der einzig stabile Faktor der Musikindustrie ist.“ Stattdessen kann man mit der App im Studio aufgenommene Konzerte als Avatar angucken, befeuern und sich dabei mit anderen Konzertbesuchern austauschen.

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Mit Lichtgeschwindigkeit durch das Universum

Ausprobieren können Besucher das demnächst ganz offiziell im VRHQ, das auch ein Zukunftsort der Visualisierung sein will: Hamburger, Touristen oder auch gerade Industrievertreter besteigen dann beispielsweise eine Gondel, die nur real am Boden bleibt, im Kopf fliegt sie mittels 360-Grad VR Filmaufnahmen über den Hafen, die Speicherstadt und die Elbphilharmonie. „Spherie“ heißt die VR Drohne, die ebenso zu Gründer Nicolas Chibac gehört, wie das Start-up „Spice VR“, das gerade für das Desy die Anwendung „The Gate“ entwickelt: „Grundlagenforschung für die Öffentlichkeit verständlich machen und mehr im Edutainment-Bereich darstellen“, lautet die Spice-Mission. Virtuelle Forscherteams steigen in einen Teilchenbeschleuniger und werden zu den Anfängen des Universums, wieder zurück zur Erde und in einen menschlichen Körper gebeamt – in Lichtgeschwindigkeit versteht sich! 

Einst Zollhaus am Fleet, jetzt „Toll“-Haus, das geht

Alles schön und gut, findet Alex. „Aber wir brauchen auch eine kreative Anwendung, die junge Leute mit nach Hause nehmen können.“ Hauptberuflich ist Alexander Kutter promovierter Verfahrenstechniker, nebenberuflich Geschäftsführer und Leiter der Entwicklung bei den „VR Nerds“. Das vierte Start-up unter dem Dach des VRHQ hat gerade die Kunst-Applikation „Next Picasso“ fertiggestellt. „Es geht uns nicht um abgefahrene Ingenieurwissenschaften, es geht um Problemlösung“, sagt der dreifache Vater. Wie er es schafft, die Welten zu verbinden? „Spielen und Programmieren sind meine privaten Hobbies und aktuell bin ich in Elternzeit.“ Spaß, Action – und darüber neue Ideen generieren, das kommt an: Das VR Nerds-Produkt „Tower Tag", ein VR-Teamspiel mit Laserwaffen um Plexiglas-Säulen macht bei „mint:pink“ Furore. 16 Mädchen außer Rand und Band – in Hamburgs neuem Kreativspeicher noch ungewöhnlich. Was lagerte hier nun wirklich, bevor die VR-Welt einzog? Nicolas schaut noch mal auf das Schild am Eingang: „Da steht ‚Devisenkontrolle‘!“

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