Freiheit im fensterlosen Labor: Wissenschaftliches Speed-Dating an der TUHH
13.09.2013Speed, das muss Janus zugeben, hat die Sache auf jeden Fall. Erstens weil sein Date mit Diplom-Geologin Ingrun Albrecht wie im Fluge vergangen ist. Zweitens, weil der 15-Jährige am Ende sogar einen Praktikumsplatz in der Tasche hält. Jedenfalls ist die Laborleiterin im Institut für Geotechnik und Baubetrieb der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) von dem Norderstedter absolut überzeugt: „Jetzt hast du ein Teil des Studiums schon intus“, sagt sie, als der Coppernicus-Gymnasiast Bodenproben richtig zuordnet, Gesetze der Bodenmechanik erklärt und die Kurven eines Korngrößenspektrums interpretieren kann. „Praktika helfen“, betont Albrecht. „Mir hat es geholfen, durch das Studium zu kommen und selbst, wenn man feststellt, das passt gar nicht, ist das eine super Orientierung.“
Gruppe Emmy Noether
Auch wenn wohl nur in Ausnahmefällen eine konkrete Praktikumszusage dabei herausspringt, Orientierung und die Erkundung von Studiengängen, Berufsbildern und Forschungsthemen sind auf jeden Fall Bestandteil eines wissenschaftlichen Speed-Datings. So nennt sich die Veranstaltung an der TUHH, die an diesen Tag neben Janus knapp 200 Oberstufenschüler aus Hamburg und der Metropolregion besuchen und für die sich 15 Wissenschaftler aus fünf Hochschulen Zeit und Raum genommen haben. Doch die Technische Universität ist groß, weit und irgendwie verwirrend. Da ist es gut, wenn ein junger Student vorneweg den Weg weist. Er hält ein Plakat in die Höhe. Darauf steht geschrieben: „Emmy Noether“ - Mathematikerin, Mutter der modernen Algebra und nun Namensgeberin für eine von fünfzehn Schülergruppen.
Die Frau ist cool
Möchten die Schüler lieber Informationen zum Berufsbild oder zu den Inhalten der Laser- und Quantenphysik, fragt Thomas Garl, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Hamburg zum Datingauftakt. Die Noether-Gruppe will beides, was Garl ein wenig außer Atem bringt: „Das erste Date kann schon manchmal etwas chaotisch sein“, scherzt der Laserphysiker, als er Folien überspringt und wie im Zeitraffer von seinem Forscherleben zwischen Hamburg, Paris und Kalifornien („im fensterlosen Labor“), von Freiheit, Internationalität und schließlich auch noch vom Bose-Einstein-Kondensat schwärmt. Für die Fragerunde bleibt da nicht mehr viel Zeit. Aber wer ist eigentlich Emmy Noether? „Die Frau ist cool“, so der promovierte Physiker.
Kontinentalkarriere
Rasmus Rettig findet Noethers Mathematik zu kompliziert. „Sehr abstrakte Dinge sind nicht so meines. Das werden Sie gleich sehen“, startet der Professor der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, HAW Hamburg, in sein zweites Date. Er hat drahtlose, programmierbare Lautsprecher dabei, die seine Studierenden entwickelt und mit dem HAW-Logo gedeckelt haben. Aber zuvor will er die Schüler auf eine ingenieurwissenschaftliche Weltreise mitnehmen, die ihn selbst bis in die texanische Grenzstadt El Paso und ins indische Bangalore geführt hat. Nach dem Physikstudium in Hamburg, der Doktorarbeit in Marburg und dem Einstieg in die Automobilbranche in Stuttgart, wohl gemerkt.
Hinter dem Horizont und weiter
„Ich hätte nicht gedacht, dass man so viele unterschiedliche Dinge mit Physik machen, forschen und damit in der Automobilindustrie arbeiten kann“, wundert sich Lea anschließend. Die Zwölftklässlerin des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums hat Physik bereits abgewählt. „Aber nach diesen Dates bin ich wieder daran interessiert.“ Mitschülerin Pia nickt: „Das hat meinen Horizont erweitert.“ Besonders die Internationaltät daran hat Alexej beeindruckt: „Mit Spaß arbeiten, auch noch dafür bezahlt werden und ins Ausland gehen, das ist schon toll.“ Der 18-jährige Sankt-Ansgar-Schüler will auf jeden Fall etwas Technisches studieren und „nichts mit Biologie“, wie er betont.
Montage ohne Zitterpartie
Für sein erstes frei wählbares Date hat sich Alexej das Thema Mensch-Maschinenhybride von Fertigungstechniker Tobias Redlich ausgesucht. „Es geht darum, Roboter und Menschen näher zusammenzubringen, als es bisher der Fall ist“, erklärt der promovierte Oberingenieur der Helmut-Schmidt-Universität. Sein Forschungsvorhaben beruht auf Sensoren, die menschliche kognitive Signale abgreifen. Alexej spannt seine Hände in einen mechanischen Bewegungsapparat, den Redlich auf einem Tisch angebracht hat. Die Arme schweben anstrengungslos über der Arbeitsplatte und Alexej probiert, wie ein Uhrmacher imaginäre Mikroteile zusammenzubringen. „Ich zittere kein bisschen.“
Kurz vor dem Rollenwechsel
In solchen Dates wird deutlich, was Wissenschaftler konkret machen, woran sie forschen und in welcher Form dies im gesellschaftlichen Kontext eingebettet ist, wie Thomas Schramm, Professor der HafenCity Universität in seinem Abschlussgespräch auf dem Podium verdeutlicht. Schramm wünscht sich für die Zukunft noch mehr kritische Schülerfragen: „Spätestens wenn Sie anfangen zu studieren, müssen Sie die rezeptive Rolle verlassen und anfangen, nachzubohren.“ Symbolisiert wird die Zukunft auch durch HCU-Vizepräsident Professor Harald Sternberg, der die Schüler schon auf das vierte Wissenschaftliche Speed-Dating 2014 in der HafenCity vorbereitet.
Vier Dates, drei Physiker und eine Botschaft
Allerdings werden dann viele der diesjährigen Teilnehmer schon das Abitur in der Tasche haben und die Zukunft konkret im Blick. Für Bojan Hansen stehen dabei seit dem diesjährigen Speed-Dating alle Zeichen auf Physik. Drei seiner Datingpartner waren Physiker und die Botschaft immer dieselbe: Physik macht Spaß und hinterher findet man auf jeden Fall etwas, was man damit machen kann. Aber auch: „Das Studium ist anspruchsvoll.“ Schreckt das den 17-Jährigen? „Nein, das spornt mich eher an“, sagt der der Sankt-Ansgar-Schüler. Ganz so, wie es Professor Jürgen Grabe, TUHH-Vizepräsident Forschung, bei der Eröffnung der Veranstaltung formuliert hatte: „Wenn man sich intensiv mit einer Sache auseinandersetzt, dann macht das auch Spaß.“ Na, wenn das kein Zeichen ist!