European-XFEL im XXL-Format

20.10.2010

„Modell und Wirklichkeit“ heißt das Physikprofil der Klosterschule Hamburg und für die dreizehn Profilschüler, die es gewählt haben ist die Wirklichkeit an diesem Tag ziemlich betongrau, unterirdisch und gigantisch zugleich.

Enormes Tunnelsystem

In Kooperation mit dem Bauunternehmen Hochtief Construction besuchen sie eine Baustelle in Schenefeld. Aber nicht irgendeine, sondern Teile von insgesamt acht unterirdischen Bauwerken des Forschungsprojektes European-XFEL und nach Fertigstellung insgesamt 5777 Meter Tunnel, die von hier aus vorgetrieben werden. Die erste Außenstation auf dem 15 Hektar großen Gelände ist schon mal beachtlich: 90 mal 50 Meter groß und 20 Meter tief ist die Baugrube. Da wo die Klosterschüler gerade in gelben Gummistiefeln zwischen Regenpfützen auf Beton wandeln, stand vor ein paar Wochen noch das Grundwasser. In vier Jahren sollen hier Forscher aus aller Welt Experimente durchführen und auswerten.

European-XFEL im XXL-Format
European-XFEL im XXL-Format
European-XFEL im XXL-Format
European-XFEL im XXL-Format

Unterirdisch Verbunden

Im Modell ist die unterirdische Experimentierhalle, in der die Schüler heute stehen, längst mehrfach entworfen, berechnet und durchgeplant: die fünf Röhren des Tunnelfächers, der hier mündet und mit dem 3,4 Kilometer entfernten Forschungszentrum DESY in Bahrenfeld unterirdisch verbunden ist, ebenso wie Labore, Hörsäle und die Fachbibliothek darüber.

Perfektion braucht Zeit

Auch die Klosterschüler haben schon ein vereinfachtes Modell des zweiten Bauschachtes in Schenefeld berechnet. „Bei unserem ersten Termin im Unternehmen Hochtief ging es vor allem um die Kräfte, die auf eine Baugrube einwirken“, erklärt Kevin. Danach folgten die Sommerferien, ein neues Schuljahr, Herbstferien - und nun der „Praxisschock“: „Ich habe es mir alles schon kompliziert vorgestellt, aber eben doch nicht kompliziert genug“, gesteht Armin. Die Dimension des Projektes, das Ausmaß an Koordination, Prüfung und Gewährleistung beeindrucken den 17jährigen. „Jetzt verstehe ich auch, wieso sich solche Arbeiten so oft in die Länge ziehen. Es gibt so viele Variablen, die Fehler aufweisen können, die man dann wieder korrigieren muss.“

Eine Maschine wie ein Wurm

Dazu kommt eine Tunnelbohrmaschine, die gerade mal 10 Meter in 24 Stunden freischaufelt. Am Kopf hat sie ein mit Messern und Meißeln bestücktes Schneidrad, das Erdreich und Steine abkratzt, wie Oberbauleiter Lutz Brandt den Schülern erklärt. Denn der Bohrkopf selbst ist längst nicht mehr sichtbar. Er steckt schon einige Meter im Erdreich drin und hat die Röhre, die hinter ihm entsteht mit Stahlbetonteilen wasserdicht ausgekleidet. „Das sind die Tübbingringe, die hier vorne eingebaut werden und an denen sich die Maschine dann abdrückt und damit weiter bewegt“, so Brandt.

Ein geschlossenes System

Das ist ein mühsames Geschäft: „Die fahren da im Moment so zwei Zentimenter pro Minute.“ Und ein spannendes Prinzip zugleich, finden die Schüler. Der Tunnel entsteht sozusagen im Pressgang und baut sich damit quasi selbst. Zumindest wenn eine intakte Infrastruktur vorgehalten wird: eine Kompressorstation, die Druckluft produziert, Werkstätten für Stahl- und Elektroarbeiten und eine Separationsanlage, die Grundwasser, Schlamm und Sand voneinander trennt. „Die Baustelle arbeitet autark“, staunt Armin.

Große Verantwortung

Aber nicht nur die Praxis, auch die vorausschauende Planung beeindrucken die Schüler in Schenefeld. „Probleme werden nicht im laufenden Geschäft abgearbeitet, sondern schon vorweg in der Theorie in allen möglichen Varianten durchgeplant“, konstatiert Vincent. Bei einem Bauvorhaben geht es halt immer auch um Stabilität und Sicherheit - erst recht bei den XXL-Dimensionen der European XFEL-Anlage. „Ich trage mit meiner Unterschrift die Verantwortung für meine Berechnungen“, betont Projektingenieur Sönke von Fintel.

Noch nicht genug

Nicht nur bei den Konsequenzen, gibt es - glücklicherweise - noch Riesenunterschiede zwischen den Aufgabenstellungen der Bauingenieure und denen der Schüler. „In der Schule berechnen wir gerade mal so viel wie in eine Doppelstunde passt“, sagt Armin. Aber das bedeutet nicht, dass nicht beide Seiten voneinander profitieren könnten. „Was können wir besser machen?“, fragt Hartmut Tworuschka, Mitglied der Geschäftsleitung, nach dem Rundgang und einer allgemeinen Stärkung bei Brötchen, Kaffee und Softdrinks. „Weniger Zeit zwischen dem Theorie- und dem Praxisteil lassen“, sagt Kevin. Oder zwischen dem Theorieteil noch eine Aufgabe stellen, die dann in der Praxis später überprüft wird, schlägt Thomas vor.

Viele neue Möglichkeiten

„Das Angebot, das Hochtief uns gemacht hat, ist wirklich toll, aber die Verankerung in der Schule ist noch ausbaufähig“, gibt Physiklehrer Tobias Schlegelmilch im Rückblick auf das Profilprojekt zu. Das liege zum Teil an vorgegebenen Schulrealitäten, zum anderen an den Anknüpfungspunkten, die sich ja oft erst durch einen ersten Durchgang ergeben. „Ich habe da jetzt noch viele Ideen bekommen, etwa in Richtung Informatik, Software - da geht noch einiges.“ Und genau das ist auch Tenor des Physikprofils an der Klosterschule: Das Bild, das die Naturwissenschaft von der Welt zeichnet mit der Realität abzugleichen und die oft verkürzten Schulmodelle in der Praxis zu erweitern. „Ich persönlich schaue jetzt ganz anders auf Baugruben“, sagt der Gymnasiallehrer und lädt Hochtief im Gegenzug ein zu einem Physikgespräch. Das Thema: Licht der Zukunft oder das Projekt European XFEL.

Beitrag teilen