Eine Probe fürs Leben: Besondere Lernleistung am Lise-Meitner-Gymnasium

10.01.2014

Hand in Hand muss es gehen, dazu noch so sauber und steril wie möglich: Oliver hält die Öffnung eines Erlenmeyerkolbens in den Bunsenbrenner, dann gießt er ein wenig Nährlösung in die Petrischale, die Klaas mit sterilen Handschuhen gerade geöffnet hat und anschließend sofort wieder verschließt. „Wir müssen verhindern, dass fremde Bakterien auf die Abklatschplatten kommen“, erklärt Oliver das Vorgehen. Abklatschplatten sind flache Kunststoffschalen, gefüllt mit einem sterilen Nährmedium. Damit wollen die Physikprofilschüler Oberflächenproben bestimmen, die mit ausgewählten Bakterien verunreinigt wurden. Das Besondere daran: Die Hälfte der untersuchten Edelstahlplättchen hat eine selbstdesinfizierende Oberfläche aus Titandioxid. Wie reagieren diese im Vergleich zu den unbeschichteten Stahlproben?

Besondere Lernleistung

Es ist ein sonniger Samstagvormittag im Stadtteil Osdorf. Es gibt Schüler, die shoppen oder chillen. Es gibt Oliver und Klaas, die im Sammlungsraum der Biologie des Lise-Meitner-Gymnasiums (LMG) ihre Versuche durchführen. Die beiden Oberstufenschüler haben sich für eine „besondere Lernleistung“ im Fach Biologie angemeldet. Besonders ist nicht nur, dass diese freiwillig und außerhalb des Unterrichts erfolgt. Sondern auch, dass die Schüler einer Forscherfrage selbstständig und wissenschaftlich nachgehen: Wie und unter welchen Bedingungen funktionieren antibakteriellen Oberflächen? Dazu prüfen die 17-Jährigen die Bakterienentwicklung unter UV-Licht, bei Tageslicht und im Dunkeln an unbeschichteten und beschichteten Stahlplättchen.

Eine Probe fürs Leben
Eine Probe fürs Leben
Eine Probe fürs Leben
Eine Probe fürs Leben

Hochschulexkursion mit Folgen

Anregung, Unterstützung sowie die Proben haben die beiden Gymnasiasten durch die Helmut-Schmidt-Universität (HSU) erhalten. Vor einem Jahr hatte der LMG-Physikprofilkurs in sechs Kleingruppen Forschungsgebiete der Fakultät für Maschinenbau der Hochschule erkundet. Darunter die antibakteriellen Oberflächen, die in Krankenhäusern zum Einsatz kommen sollen und die Henning Gutzmann am Institut für Werkstofftechnik untersucht. „Wir fanden das spannend, weil es auch gesellschaftlich relevant ist“, sagt Oliver. Allein die Patientenkosten lägen nach einer Infizierung mit multiresistenten Krankenhauskeimen im Einzelfall bei bis zu 40.000 Euro, betont der 17-Jährige. „Ich möchte Medizin studieren, da fand ich die Krankenhausthematik ganz interessant“, ergänzt Klaas.

Erkundet und erfragt

Die Oberstufenschüler nahmen Kontakt zu Henning Gutzmann auf und baten um Unterstützung. Der Diplomphysiker erklärte sich dazu bereit, sofern die Schüler eine eigene Versuchsidee entwarfen und eine Projektskizze schickten. „Ich bekomme einige Anfragen. Manche erwarten, dass ihnen schlichtweg die Arbeit abgenommen wird.“ Nicht so Oliver und Klaas. Die beiden Physikprofilschüler haben keine Mühen gescheut, Unternehmen, Schulvereine und Lehrer um Unterstützung gebeten und ganze Wochenenden in der Schule verbracht.  

Eine Probe fürs Leben
Eine Probe fürs Leben

Ergebnis mit Exponentialfunktion

„Wir haben mehrere Versuchsreihen durchgeführt und insgesamt hat sich gezeigt, dass die antibakteriellen Oberflächen funktionieren“, fasst Klaas das Ergebnis zusammen. Wobei die Nachwuchswissenschaftler in den Schulversuchen mit einer geliehenen, nicht sehr leistungsstarken UV-Lampe einen exponentiellen Verlauf feststellten: „Am Anfang sterben viele Bakterien ab, aber dann fällt die Kurve. Eine Komplettreinigung konnten wir bei einer Versuchsdauer von jeweils einer Stunde nicht nachweisen.“

Der Kern von Forschung

Wissenschaftler entwickeln eine eigene Fragestellung, die sie im Experiment überprüfen. Dazu gehört auch, den eigenen Aufbau zu hinterfragen und Fehlerquellen zu analysieren, betont Doktorand Gutzmann und zeigt sich angetan von dem Vorgehen der Schüler: „Die haben eigenverantwortlich Versuche aufgebaut – das allein ist doch schon ein voller Erfolg.“ Sein Doktorvater Professor Thomas Klassen hofft auf Nachahmer. „Das ist auf jeden Fall für mich ein ideales Beispiel, wie ich mir die Kooperation von Schulen und Unis vorstelle. Die Schüler werden in die aktuelle Forschung eingebunden, können neue kreative Ideen einbringen und sind für einen Teilbereich selbst verantwortlich“, so der Leiter des Instituts für Werkstofftechnik.

Schule für Schüler

Auch LMG-Oberstufenkoordinator Thomas Krentz möchte, dass die Lernleistung Schule macht. „Es ist eine Premiere, dass wir den Sammlungsraum für die Schüler öffnen und den Schlüssel herausgeben. Das ist Schule für die Schüler.“ Der Biologielehrer hat Oliver und Klaas vor allem methodisch und in Fragen der Mikrobiologie unterstützt – sowie in physikalischen Dingen selbst dazu gelernt. „Es ist interessant, dass über solche Projekte neue Anregungen in die Schule hineinkommen“, lobt er. Standort- und fachübergreifend: Die antibakteriellen Eigenschaften von Titandioxid lassen sich nur mit grundlegenden Physikkenntnissen erklären, die Anzucht und Zerstörung von Bakterien mit Biologie und eingereicht haben die 17-Jährigen ihre Arbeit beim Nachwuchswettbewerb „Jugend forscht“ im Fachbereich Chemie. „Naturwissenschaft pur“, resümiert Oliver.