Ein Turnierplatz für junge Physiker: Sankt-Ansgar-Schule begleitet zur Physik-WM

05.09.2014

Den Boden zweier Plastikbecher gegeneinander verklebt, eine Gummibandkette drumherum aufgewickelt und fertig ist der „Magnus glider“. Markus spannt das Gummiband, lässt den Bechergleiter los und schon fliegt das Modell eine schön geschwungene Kurve. „Macht das jetzt eigentlich jemand, wo wir das extra gebaut haben?“, fragt der TUHH-Student. Martin Biebl am anderen Ende des Physikraumes hebt den Gleiter auf und bringt ihn ohne Gummiband in Rotation. Das Fluggerät bekommt noch einmal Auftrieb – Physiker sprechen vom Magnus-Effekt – bevor es sanft zu Boden gleitet. „Das macht garantiert noch jemand, das ist so eine tolle Sache“, sagt der Physiklehrer. „Und wenn nicht, dann machen wir das selbst.“

17 knifflige Fragen aus der Physik

'Wir' steht in diesem Fall für ein engagiertes Team aus drei Physiklehrern und vier studentischen Tutoren, alles ehemalige Schüler von Sankt-Ansgar. In den Physikräumen geben sie Schülern Denkanstöße, unterstützen bei Versuchsaufbauten oder Fragestellungen, die über den normalen Schulstoff hinausgehen. Aber sie sind auch selbst Forscher – und gelegentlich Fluggleiterwerfer. Schließlich geht es um 17 Probleme, die es in sich haben, in keinem Schulbuch stehen, aber dafür im Zentrum des bundesweiten Physikturniers GYPT. Die Abkürzung steht für „German Young Physicists' Tournament“ – deutscher Wettkampf junger Physiker. Analog zum Fußball oder anderen Sportarten mündet er in eine Weltmeisterschaft, dem IYPT, „International Young Physicists‘ Tournament“.

Ein Turnierplatz für junge Physiker
Ein Turnierplatz für junge Physiker
Ein Turnierplatz für junge Physiker
Ein Turnierplatz für junge Physiker

GYPT nach Hamburg geholt

Bis es so weit ist, müssen die jungen Forscher aber noch eine Menge ausprobieren, auswerten und hinterfragen. Anschließend präsentieren sie ihre Ergebnisse und diskutieren sie mit anderen Teams – auf Englisch. „Das ist noch einmal eine Anstrengung mehr, deshalb habe ich lange einen Bogen darum  gemacht“, sagt Biebl. Bis sein früherer Ausbildungsleiter und GYPT-Initiator ihn von der Idee überzeugte, bundesweite Stützpunkte aufzubauen. Seitdem ist Biebl begeisterter Leiter des GYPT-Zentrums Hamburg, an dem weitere Schülerinnen und Schüler aus dem gesamten Stadtgebiet willkommen sind: „Die meisten Schüler machen ‚Jugend forscht‘, die besten GYPT“, so der Physiklehrer.

Schwarze Schatten unterm Mikroskop

Drei Physikräume hat die Sankt-Ansgar-Schule für den Nachwuchs geöffnet. Unter einem Mikroskop haben Joana und Fritzi Stoffreste ausgebreitet. Die Neuntklässlerinnen haben sich Phänomen Nummer 16 herausgesucht. Es fragt, warum Stoffe dunkler erscheinen, sobald sie nass werden. „Man weiß sofort, dass Stoff wie Sand dunkler wird, sobald er sich mit Wasser vermischt, aber man weiß nicht genau, warum“, so Fritzi. Die 14-Jährige ist die jüngste Nachwuchsforscherin im Raum, auch sie muss ihre Ergebnisse auf Englisch präsentieren, wenn sie im nächsten Jahr am Physikturnier teilnehmen will. Daher recherchieren die beiden auch im englischsprachigen Internet und finden, dass Stofffasern unterm Mikroskop transparent sein sollen. Das könnte eine Fährte sein. Aber Joana schüttelt nur den Kopf: „Ich sehe nur schwarze Schatten.“ 

Ein Turnierplatz für junge Physiker
Ein Turnierplatz für junge Physiker
Ein Turnierplatz für junge Physiker
Ein Turnierplatz für junge Physiker

Vom Fischer zum Forscher

Einen Raum weiter hat Vishtasb einen Angelfaden eingespannt. Das andere Ende des Nylons verbindet der Elftklässler persischer Herkunft mit einem Bohrer. Nun versucht er, den Faden zu einer Spirale aufzudrehen: „Ich will einen künstlichen Muskel herstellen.“ Unterstützung bekommt der 17-Jährige dabei von Lehrer Ulrich Bobinger: „Wir stehen noch ganz am Anfang.“ Für den promovierten Physiker zeichnet sich der Wettbewerb durch Offenheit, Unkompliziertheit und ein Miteinander aus: „Auch bei Versuchen mit Haushaltsgegenständen entsteht hohe Physik. Das eröffnet ganz neue Zugänge.“

Erst mal nur mitspielen

Das gilt selbst für Lehrer und Tutoren, die begeistert Generatoren, Magnet und Messgeräte ein- und umbauen: Bei dem Experiment, das sich die Oberstufenschüler Frederik und Florian ausgesucht haben, soll ein Fadenpendel mit einem Magneten als Gewicht zum Schwingen gebracht werden. „Wenn man dabei ein Wechselstrommagnetfeld aufbaut, soll die Energie erhalten bleiben, also ungedämpfte Schwingung entstehen“, erklärt Frederik. Der 17-Jährige ist zum zweiten Mal dabei: „Ich finde die Probleme interessant, ich mag Physik und die Präsentation hat auch Spaß gemacht“, sagt der Zwölftklässler, der im letzten Jahr ganz knapp an der nächsten Runde vorbeigeschrammt ist. „Das war in Ordnung, wir wollten erst mal nur mitspielen.“

Ein Turnierplatz für junge Physiker
Ein Turnierplatz für junge Physiker
Ein Turnierplatz für junge Physiker
Ein Turnierplatz für junge Physiker

Der Geist der Verständigung

Dieses Mal wird es ernster und Frederik will trotz Abitur auf jeden Fall wieder mitmischen: „Das ist anders als Unterricht, selbstbestimmter, komplizierter und nebenbei lernt man jede Menge Mathe, um die Phänomene zu beschreiben.“ Esther-Marie nickt. Aufmerksam hat die Schülerin vom Gymnasium Süderelbe, das in Person von Physiklehrerin Ulrike Vogt den GYPT-Standort Hamburg unterstützt, den Jungs zugeschaut. Ganz aus Neugraben ist sie nach Sankt-Ansgar gefahren, um sich mit einer befreundeten Grootmoor-Schülerin ein Physikphänomen auszuwählen. Aber die Freundin hat krankheitsbedingt abgesagt. Esther-Marie bleibt dennoch bis zum Schluss. Man kann sich ja schon mal mit Problemen befassen, gegen die man im Wettkampf später vielleicht opponieren muss. Auch mit dem „Magnus glider“.

Der GYPT-Stützpunkt Hamburg an der Sankt-Ansgar-Schule, Bürgerweide 33, 20535 Hamburg, steht interessierten Schülerinnen und Schülern ab Klasse 10 offen. Mit dem Leiter Martin Biebl können Sie hier Kontakt aufnehmen. Die Gruppe trifft sich mittwochs von 14-17 Uhr, zusätzlich freitags nach Absprache. Unterstützer des Hamburger Standorts sind die Wilhelm und Else Heraeus-Stiftung, die Deutsche Physikalische Gesellschaft, die Universität Hamburg, der Förderverein der Sankt-Ansgar-Schule und die Initiative NAT.

Beitrag teilen